Die Erde benötigt theoretisch 86.400 Sekunden, um einen Tag zu vollenden, was exakt 24 Stunden entspricht. In den letzten Jahrzehnten war die Erde jedoch oft ein bis drei Millisekunden langsamer. Seit 2020 hat sich dieser Trend jedoch umgekehrt, und der Planet dreht sich schneller als 24 Stunden.
Geophysiker Roland Pail von der Technischen Universität München bezeichnet diese Entwicklung als „etwas überraschend“. Es war allgemein zu erwarten, dass die Erdrotation sich verlangsamt. Schätzungen deuten darauf hin, dass sowohl der Mond als auch der Klimawandel die Erde eher abbremsen sollten. Pail vermutet daher, dass es sich um ein kurzfristiges Phänomen handelt.
Die Rolle des Mondes
Pail erklärt, dass der Mond die Erde wie eine Handbremse bremst. Die gegenseitige Anziehung zwischen Erde und Mond führt zu einer allmählichen Verlangsamung der Erdrotation. Studien zu Korallenriffen und Sedimenten belegen, dass ein Tag vor 500 bis 600 Millionen Jahren nur 21 Stunden dauerte – die Erde drehte sich somit deutlich schneller um ihre Achse. Die wirkende „Handbremse Mond“ hat im Laufe der Zeit den Spin der Erde ausgebremst.
Klimawandel und Erwartungen
Die Fachwelt hat auch angenommen, dass der Klimawandel eine zusätzliche Verlangsamung zur Folge haben würde. Wenn das Polareis schmilzt, verlagern sich große Wassermengen von den Polen in Richtung Äquator. Pail zieht einen Vergleich zum Tanz: Eine Eiskunstläuferin, die ihre Arme ausbreitet, verlangsamt sich, und dieses Verhalten wurde auch von der Erde erwartet.
Innere Vorgänge der Erde
Wider Erwarten zeigt sich jedoch, dass sich die Erde in den letzten Jahren schneller dreht. Messungen der Technischen Universität Wien unterstützen dieses unerwartete Ergebnis. Pail vermutet, dass Vorgänge im Erdinneren für diesen gegenläufigen Effekt verantwortlich sind.
Er geht davon aus, dass der Erdmantel und der Erdkern momentan unterschiedliche Drehgeschwindigkeiten aufweisen. Obwohl dieses Phänomen bekannt ist, ist es schwierig zu erforschen oder zu modellieren. Pail äußert, dass das langfristige Verhalten in diesem Kontext völlig unbekannt sei.
Minimale Auswirkungen auf den Menschen
Für den Menschen sind diese Unterschiede in der Rotationsgeschwindigkeit kaum wahrnehmbar. Pail beschreibt es als „ein Hundertstel eines Wimpernschlags“, was für den Alltag keine wesentliche Bedeutung hat. Dennoch gab es in der Erdgeschichte immer wieder Schwankungen bei der Rotationsgeschwindigkeit.
Die präzisen Atomuhren, die eine wichtige Rolle bei der Ermittlung der weltweiten einheitlichen Zeit spielen, haben jedoch die kürzeren Tage bienenhart festgehalten. Da die Tage in der Vergangenheit in der Regel länger als 86.400 Sekunden waren, wurden ab den 1970er Jahren in regelmäßigen Abständen Schaltsekunden hinzugefügt. Diese Schaltsekunden, ähnlich dem 29. Februar im Kalender, harmonisierten die künstliche Zeit mit der natürlichen Zeit. Die letzte Schaltsekunde wurde zum Jahreswechsel 2016 auf 2017 eingeführt.
Befürchtungen eines Computercrashs
Erstmals seit der Einführung der Schaltsekunde findet nun eine Diskussion über die Möglichkeit einer negativen Schaltsekunde statt. Pail weist darauf hin, dass es ein Unterschied ist, einem System eine Sekunde zu „schenken“ als eine Sekunde zu „stehlen“. „Darauf ist niemand vorbereitet“, meint er.
Besondere Sorge gilt dabei Computersystemen, die möglicherweise mit dieser negativen Zeitrechnung nicht umgehen könnten. Pail hält die Ängste für gerechtfertigt: „Keiner kann absehen, wie groß die Konsequenzen wären“, betont er. Während er die Folgen einer leichten Abweichung der Zeitrechnung in Millisekunden als weniger dramatisch ansieht, betrachtet er einen möglichen Computercrash durch eine negative Schaltsekunde als ernsthafte Bedrohung.









